Wolfgang Schulte Steinberg bei den Senioren von Ver.di
Zu Beginn seines Vortrages „NS-Zeit und Gewerkschaften“ nahm der von den Senioren der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in Lippstadt eingeladene Referent Wolfgang Schulte Steinberg einen Blick auf die Anfänge der Gewerkschaftsbewegung in der Stadt an der Lippe vor. Dabei bediente er sich unter anderem der Anmerkungen des Lippstädter Historikers Dr. Wolfgang Maron aus seiner Schrift „Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Lippstadt von 1815 bis 1914“. Danach fiel die Gründung von Gewerkschaftsgruppen in Lippstadt zeitlich mit der Ausweitung der deutschen Gewerkschaften zu einer Massenbewegung zusammen.
Vorherrschaft
Die erste freigewerkschaftliche Organisation in Lippstadt soll demzufolge mit der Einrichtung einer Zahlstelle des Deutschen Tabakarbeiterverbandes in 1884 entstanden sein. Gefolgt seien die Zahlstellen der „Vereinigung der deutschen Maler, Lackierer, Anstreicher und Verwandten Berufsgruppe“ (1891) und des „Deutschen Holzarbeiterverbandes“ und des „Deutschen Metallarbeiterverbandes“ (1899). Die Mitgliederzahl der einzelnen freien Gewerkschaften in Lippstadt sei aber gering gewesen. Geändert habe sich dies, als mit der Jahreswende 1899/1900 mit der Zahlstelle des „Sauerländischen Gewerkvereins“ die erste christliche Gewerkschaft in Lippstadt entstanden sei. Bis zum Jahr 1913 sollen nach den Ausführungen von Wolfgang Schulte Steinberg unter Bezugnahme seiner Quellen aus der Veröffentlichung von Wolfgang Maron 70 Prozent aller gewerkschaftlich organisierten Arbeiter in Lippstadt einer christlichen Gewerkschaft angehört haben. Die Vorherrschaft dieser Gruppierung in Lippstadt habe auch in der Weimarer Republik bestanden. Erst mit der abnehmenden wirtschaftlichen Lage habe sich die Situation der freien Gewerkschaften (wie die sozialistisch orientierte Gewerkschaftsorganisation des 19. und 20. Jahrhunderts mit Blick auf die Unterschiede zu den konkurrierenden liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und christlichen Gewerkschaften bezeichnet wurde) verbessert. Dies wurde auch deutlich bei den Betriebsratswahlen bei den damaligen Betrieben WMI und Westfälische Union in 1929 und 1930, wo sich der Abstand der freien Gewerkschaft zur christlichen Vereinigung gegenüber den vorherigen Abstimmungen deutlich verringerte.
Gleichschaltung
Mit der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 wurden auch in Lippstadt zum 1. Mai 1933 die Gewerkschaften gleichgeschaltet. Schon zwei Wochen zuvor – am 18. April 1933 – war vom neugewählten Lippstädter Magistrat über den Verbleib der vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), dem Dachverband der freien Gewerkschaften, genutzten Räume in der Marktstraße 23 entschieden worden. Sie sollten der SA (Sturmabteilung, die paramilitärische, uniformierte und bewaffnete Kampforganisation der NSDAP) und SS (Schutzstaffel. Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument der Nazis) überlassen werden.
Repressalien
Am 6. Mai 1933 meldete die „Lippstädter Zeitung“ die Gleichschaltung der Gewerkschaften durch die NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, die von den damaligen Machthabern als Gegenmodell zu den freien Gewerkschaften konstruiert wurde) sowie die Verhaftung von mehreren christlichen Gewerkschaftlern. Von den Repressalien waren nach den bereits zuvor erwähnten Zeilen aus der Publikation von Wolfgang Maron vor allem die Vertreter der in Lippstadt vorhandenen Freien Gewerkschaften betroffen. So Paul Schoppe, Leiter des Metallarbeiterverbandes, Otto Wandel, Leiter des Holzarbeiterverbandes, Karl Seiger, Baugewerkschaftsbund, Theodor Lauf, Gesamtverband der Arbeiter der öffentlichen Betriebe, Heinrich Griese, Eisenbahnerverband und Wilhelm Ebert, Buchdruckerverband, betroffen. Übrigens: Vom genannten Paul Schoppe ist bekannt, dass er sich nach dem Zusammenbruch der NS-Schreckensherrschaft erneut wieder für die Arbeiterbewegung engagierte. Neben der Industriegewerkschaft Metall (IGM) auch für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, für die er viele Jahre als Kassierer des Lippstädter SPD-Ortsvereins tätig war.
Widerstand
Den von Wolfgang Schulte Steinberg herangezogenen Aufzeichnungen aus der Feder von Wolfgang Maron zufolge hatten es trotz der Gleichschaltung der Gewerkschaften die NSDAP und die NSBO schwer, in Lippstadt bei den in den folgenden Jahren durchgeführten Vertrauensratswahlen in den Betrieben ihre Kandidaten durchzubringen. Wie die Wahlen im Mai 1934 bei der WMI und der Westfälischen Union offenbarten, hatten erst die Ersatzleute der NSBO eine Chance, von den Arbeitern als Vertrauensratsleute anerkannt und gewählt zu werden. Extrem schlecht für die NSBO-Vertreter war der Ausgang der Vertrauensratswahlen bei der WMI im April 1935. Von 606 gültigen Stimmen, 43 hatten überhaupt nicht gewählt, waren 309 mit „Nein“ registriert worden. Diese Resultate dokumentieren den nach 1933 in Lippstadt durchaus vorhandenen Widerstand gegen das Vorgehen der NS-Diktatoren.
Hinweis
Von Ende Oktober bis Ende Dezember 2009 fand im Lippstädter Stadtmuseum eine beachtenswerte Ausstellung zum Thema Nationalsozialismus und freie Gewerkschaften statt. Die Präsentation setzte sich gleichfalls mit den von Wolfgang Schulte Steinberg angesprochenen historischen Ereignissen im Frühjahr 1933 auseinander. Für die Ver.di-Senioren war dies Ende 2009 der Anlass, sich in einer Runde im Heimatmuseum mit den Vorgängen näher zu befassen. Das damalige aufschlussreiche Referat der Stadtarchivarin Dr. Claudia Becker ist mit Datum 20. Dezember 2009 unter www.geschichte-arbeiterbewegung.de unter dem Titelkopf Gewerkschaften und Geschichte zu finden.
Hans Zaremba