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Willy Brandt und Lippstadt

Beitrag zum bevorstehenden 110. Geburtstag

Für viele der in den 1970er Jahren in die SPD eingetretenen Mitglieder war Willy Brandt die politische Identifikationsfigur schlechthin. Mit ihm, der am Montag, 18. Dezember 2023, 110 Jahre alt geworden wäre und am 8. Oktober 1992 in Unkel am Rhein verstorben ist, verbanden die vor fünf Jahrzehnten in die SPD kommenden jungen Frauen und Männer die Erwartungen auf innenpolitische Reformen und eine Öffnung der deutschen Politik zum Osten. Daran und an den Besuch des damaligen Bundeskanzlers in der heimischen Region im Frühjahr 1970 sowie an die Visite des langjährigen SPD-Chefs in Lippstadt im Sommer 1976 wird in diesem Beitrag erinnert.

Bad Westernkotten am Samstag, 14. März 1970:
Von links Werner Figgen (1921-1991) aus Hamm, Willy Brandt und Horst Marin, Engelbert Sander (1929-2004) und Elisabeth Langner (1925-1983).

Rückblick in das Jahr 1970

Fünf Tage vor seinem historischen Treffen mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph in Erfurt am Donnerstag, 19. März 1970, war der im Oktober 1969 vom Bundestag ins Amt gewählte Kanzler Willy Brandt  in den zu jener Zeit noch bestehenden Kreis Lippstadt gekommen. Als er mit dem Bundestagsmitglied Engelbert Sander (1929-2004), dem SPD-Kreischef Lothar Reiter (1913-1982) und dem SPD-Landtagskandidaten Horst Marin die von der heimischen SPD für den Auftritt ihres Gastes bestimmte Volkshalle in Bad Westernkotten betrat, waren in ihr alle Sitz- und Stehplätze restlos vergeben und viele Menschen hatten keinen Einlass mehr in das Gebäude gefunden. Offenbar waren vor dem nahenden ersten Gipfel der Regierungschefs aus Ost und West der 1949 entstandenen deutschen Teilstaaten etliche Bürgerinnen und Bürger zusätzlich angelockt worden. Der Polizei blieb nichts anderes übrig, die Versammlungsstätte wegen Überfüllung und aus Sicherheitsgründen abzusperren. In seiner Rede hob der im Dezember 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Politiker vor dem Hintergrund seiner Begegnung mit dem DDR-Regenten hervor: „Ich fahre mit allem guten Willen, aber ohne jede Illusion nach Erfurt.“ Unterdessen haben sich vom Treffen in Thüringen das Bild des Sozialdemokraten am Fenster des Erfurter Hotels und seine zurückhaltende Gestik eingeprägt. Die in der heutigen thüringischen Landeshauptstadt geführten Gespräche waren der Beginn der Schritte zum langsamen DDR-Ende in der friedlichen Revolution von 1989.

Lippstadt am Samstag, 10. Juli 1976:
Im Bundestagswahlkampf war Willy Brandt nach Lippstadt gekommen, wo er sich den AWO-Kindergarten im Südwesten ansah. Mit im Bild SPD-Ortschef Karl-Heinz Brülle, und AWO-Geschäftsführer Klaus Helfmeier (+) und die Ratsfrau Elisabeth Langner (+).
Archiv-Fotos (2): Sammlung Hans Zaremba

Rückblick in das Jahr 1976

Sechs Jahre später nach der Kundgebung von Bad Westernkotten – am Samstag, 10. Juli 1976 – führte die Tour von Willy Brandt im Bundestagswahkampf nach Lippstadt und in den Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Schlehenstraße. Der SPD-Parteichef war zwar nicht mehr Kanzler (von diesem Amt war er infolge der Bespitzelung durch einen Stasi-Agenten am 6. Mai 1974 zurückgetreten), aber immer noch ein Politiker mit hohem Ansehen im In- und Ausland. Überdies war er weiterhin ein Zugpferd der SPD, wovon neben dem inzwischen zum Amtsinhaber im Palais Schaumburg aufgestiegene Helmut Schmidt auch der Lippstädter Parlamentarier Engelbert Sander im Wahlkampf 1986 ohne Zweifel profitierte. Bei seiner Einkehr in der heute zum AWO-Familienzentrum formierten Tagesstätte wurde er im Sommer 1976 vom Kreisgeschäftsführer des Wohlfahrtsverbandes (dem später von 1994 bis 1997 amtierenden Bürgermeister) Klaus Helfmeier (1941-2012) empfangen. Der hohe Gast, der zuvor schon in vielen AWO-Einrichtungen war, erlebte in Lippstadt jedoch eine Premiere, da er nach eigenem Bekunden einen AWO-Kindergarten bis zum Juli 1976 noch nicht betreten hatte. Über den Austausch zum Engagement der AWO und einer Bewertung der Versorgung von Kindergärten in Nordrhein Westfalen hinaus sah sich Willy Brandt auch in den Räumen der Einrichtung im Lippstädter Südwesten um. Einige der Kinder bezogen den prominenten Mann in ein Brettspiel ein und als ein Junge dem Ex- Kanzler seinen Gipsarm für ein Autogramm entgegenstreckte, signierte er den Verband.

Dauerausstellung in Unkel

Willy Brandt lebte von 1979 bis zu seinem Tod in 1992 in Unkel. In diesem Ort, in der Nähe der früheren Bundeshauptstadt Bonn, verfasste er seine Erinnerungen und setzte sich als international hochgeachtete Persönlichkeit für eine globale Friedens- und Entwicklungspolitik ein. Mit dem am Sonntag, 20. März 2011, in der Kleinstadt eröffneten Willy-Brandt-Forum wird an das langjährige Wirken des einstigen Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden erinnert. Die dortige Dauerausstellung dokumentiert wesentliche Stationen seines politischen Lebens und gewährt Einblicke in sein weniger bekanntes Leben als Bürger der Stadt Unkel. 

Hans Zaremba

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