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Von Mannheim über Leipzig bis nach Lippstadt

Rückblende auf den SPD-Erfolg bei der Bundestagswahl im Herbst 1998

Im September war in den Medien von einem bereits im Frühjahr erfolgten Treffen zwischen zwei ehemaligen führenden Spitzenpolitikern, dem einstigen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem früheren Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, die Rede. Dass es überhaupt zu diesem Termin zwischen den vormaligen „Alphatieren“ gekommen ist, hat aufgrund ihres öffentlich ausgetragenen Zerwürfnisses überrascht.

Lippstadt im September 1996:
Zwei Jahre vor dem großen SPD-Wahlerfolg in 1998 begrüßten Karl-Heinz Brülle, Hans Zaremba und Heinz Gerling den SPD-Wahlkampfmanager Franz Müntefering (zweiter von rechts) in der „Marktdeele“, der damaligen Dependance der örtlichen Sozialdemokratie. 

Missbilligung

In der Sozialdemokratie sind die alten Kontrahenten schon lange nicht mehr gut gelitten. Oskar Lafontaine wegen seines Hinwerfens seiner politischen Ämter – Minister, SPD-Vorsitz und Bundestagsmandat – im März 1999, seines Austritts aus der SPD im Mai 2005 und des folgendem Wechsels zur späteren Linkspartei. Gerhard Schröder angesichts seines unsäglichen Lobbyismus für die vom Despoten Wladimir Putin beherrschte russische Energiewirtschaft. Nicht von ungefähr gab es unterdessen mehrere vergebliche Versuche, den Ex-Bundeskanzler aus der SPD auszuschließen. Unabhängig der von vielen Sozialdemokraten geteilten Missbilligungen der zuvor beschriebenen Handlungen ihrer vormals einflussreichen Vorleute können ihre Verdienste für den famosen SPD-Wahlerfolg bei der Bundestagswahl am Sonntag, 27. September 1998, nicht ausgeblendet werden. Darum geht es unter anderem in dieser Rückblende auf den Bundestagswahlkampf in 1998.  

„Krönungsmesse“

Als sich im Frühjahr 1998 auf dem Messegelände im Norden von Leipzig 525 Delegierte der Sozialdemokratie aus allen SPD-Bezirken in Deutschland zum außerordentlichen Bundesparteitag trafen, erlebte die älteste deutsche Partei eine Veranstaltung, die sie bis dato nicht kannte und bis heute ein einmaliges Ereignis geblieben ist. Es war, wie es die Medien vor 25 Jahren berichteten, eine „Krönungsmesse“ und „Inthronisierung“. Das ganze diente dazu, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder rituell zum Kanzlerkandidaten der SPD auszurufen. Vorausgegangen war der SPD-Bundesparteitag von Mannheim im November 1995, auf dem Oskar Lafontaine nach einer flammenden Rede in einer Kampfabstimmung den damaligen blassen SPD-Parteichef Rudolf Scharping aus dem Amt kippte und in der Folge die Sozialdemokratie konsequent auf die Ablösung der ermatteten Bundesregierung mit dem CDU-Langzeitkanzler Helmut Kohl vorbereitete. Dabei erkannte der im SPD-Gefüge eher links orientierte Saarländer offenbar die größere Zugkraft von Gerhard Schröder in der Wählerschaft, der in Hannover als Regierungschef ein rot-grünes Bündnis vorstand. Nach dessen überzeugendem Wahlsieg bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 1. März 1998 überließ er ihm den Vortritt für die SPD-Kanzlerkandidatur.

Denkwürdig

Zweifellos war Oskar Lafontaine neben Gerhard Schröder ein Architekt des Machtwechsels in Bonn. Am Ende des durch den in Lippstadt gut bekannten Franz Müntefering als Bundesgeschäftsführer vorteilhaft gemanagten SPD-Wahlkampfes mit dem Slogan „Wir sind bereit“ wurde die Sozialdemokratie nach 1972 mit Willy Brandt an ihrer Spitze in 1998 zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die stärkste Kraft im Bundestag. Damit stellte sie nach 1972 mit Annemarie Renger als erster Frau im Amt der Bundestagspräsidentin in 1998 mit Wolfgang Thierse wieder den Präsidenten des noch in Bonn ansässigen Parlaments. Denkwürdig war auch, dass in 1998 erstmals im Bund die Opposition (SPD und Grüne) eine Regierung (Union und FDP) direkt über Wahlen ablösen konnte. Bei den Regierungswechseln in 1966 (erste Große Koalition als Bundesregierung nach dem Aus der Allianz aus CDU/CSU und FDP) und 1982 (Sprung der FDP aus der Verbindung mit der SPD zur CDU/CSU) gingen Aufkündigungen der bisherigen Bündnisse während der Legislaturperiode voraus. Einen Monat später – am 27. Oktober 1998 – wurde Gerhard Schröder vom Bundestag mit 351 Stimmen zum Bundeskanzler gewählt, obwohl nur 344 Abgeordnete aus der Sozialdemokratie und den Grünen anwesend waren.

Lippstadt im Frühjahr 1998:
Wenige Monate vor dem SPD-Erfolg präsentierte sich der Vorstand des SPD-Stadtverbandes auf dem Lipperbrucher SPD-Stadtparteitag mit dem späteren Sieger im heimischen Wahlkreis, Eike Hovermann (dritter von rechts in der hinteren Reihe), zum Gruppenbild.
Archiv-Fotos (2): Sammlung Hans Zaremba  

Einmalig

Einmalig war das Resultat auch in Lippstadt. Der SPD-Bewerber Eike Hovermann aus Overhagen lag mit 48,6 Prozent vorne und konnte einen Zugewinn von sechs Zählern nach seiner ersten Kandidatur in 1994 verzeichnen. Der Unions-Mann und inzwischen aus der Bundespolitik ausgeschiedene Jürgen Augustinowitz aus Rüthen erreichte lediglich 41,6 Prozent und musste an der Lippe den herben Verlust von 5,2 Punkten hinnehmen. Noch größer war der Abstand bei den Zweitstimmen. Dort kam die SPD auf 44,7 (40,1 in 1994) und die CDU auf 36,4 Prozent (42). Dass der Jubel der Sozialdemokraten keine Grenzen mehr kannte, als der damalige SPD-Fraktionschef im Rathaus, Karl-Heinz Brülle, am 27. September 1998 um 20.35 Uhr in der SPD-Zentrale in der Marktstraße den erstaunlichen SPD-Sieg im Kreis Soest bekannt gab, verwundert nicht. An diesen außergewöhnlichen Abend, der erst am frühen Morgen in der „Marktdeele“, der „Filiale“ der Lippstädter SPD in jener Zeit, enden sollte, gibt es auch 25 Jahre später noch viele und schöne Erinnerungen.

Hans Zaremba

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