Erinnerung an die Landtagswahl am Sonntag, 12. Mai 1985
Mit 52,1 Prozent erzielten die Sozialdemokraten am Sonntag, 12. Mai 1985, ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und gewannen von landesweit zu vergebenden 151 Direktmandaten allein 125 Sitze. Unter den direkt in das Düsseldorfer gewählten Abgeordneten befand sich mit Karl-Heinz Brülle auch der SPD-Bewerber aus dem heimischen Wahlkreis mit den Kommunen von Lippstadt über Anröchte, Erwitte, Geseke, Rüthen bis Warstein. Die Wahl des Lippstädters war schon eine riesengroße Überraschung. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte die SPD an der Lippe weder einen Sessel im Landtag noch im Bundestag in unmittelbarer Wahl einheimsen.
Popularität von Johannes Rau
Es war die außergewöhnliche Popularität des seit 1978 amtierenden Ministerpräsidenten und „Menschenfischers“ Johannes Rau, von der die SPD zwischen Rhein und Weser speziell bei den Landtagswahlen in 1980, 1985 und 1990 profitierte und die ihnen jeweils absolute Mehrheiten im Landtag bescherte. Zwangsläufig wirkte sich die große Zustimmung der Bevölkerung für den Predigersohn aus Wuppertal auch auf das Wählerverhalten in der Region von der Lippe bis zum Haarstrang aus und verhalf dem in Lippstadt geborenen Sozialdemokraten Karl-Heinz Brülle sowohl im Mai 1985 als auch im Mai 1990 zum Direktmandat im nordrhein-westfälischen Landtag. Die größte Überraschung für die Sozialdemokraten war die Landtagswahl vor drei Jahrzehnten, bei der sie in ganz Nordrhein-Westfalen rundweg phantastische Resultate einfuhren. Durch den traumhaften Sieg der SPD (52,1 Prozent) mit ihrem Spitzenkandidaten Johannes Rau verteidigte die Sozialdemokratie nicht nur ihre bei der Landtagswahl am Sonntag, 14. Mai 1980, erworbene absolute Mehrheit (48,4 Prozent), sie baute ihren fünf Jahre zuvor erreichten komfortablen Vorsprung noch aus. Ein Triumph, der heute kaum noch vorstellbar ist. Wahlkreise, die bis 1985 bei einer Landtagswahl noch nie von den Sozialdemokraten direkt gewonnen wurden, fielen reihenweise an die Genossinnen und Genossen aus der SPD. Auch im nahen Wahlkreis Soest setzte sich mit Brigitta Heemann eine Sozialdemokratin durch, ebenso jenseits der Glenne im Wahlkreis Beckum mit der Nachbargemeinde Wadersloh konnte die Sozialdemokratie mit Günter Harms aus Ahlen das Direktmandat gewinnen.
Veränderung des Alltags
Für den damals 35jährigen Pädagogen Charly Brülle an der Lippstädter Pestalozzischule bedeutete das Votum vom 12. Mai 1985 eine völlige Veränderung seines bisherigen Lebens. Führte ihn von 1975 bis 1985 sein täglicher Weg von seinem Wohnhaus in der Chalybäusstraße in die Schule in der Pappelallee, so war bereits am Tag nach der Landtagswahl von 1985 das Ständehaus in Düsseldorf, wo das Parlament von Nordrhein-Westfalen bis 1988 seinen Standort hatte, zum ersten Mal das Ziel für seine neue Tätigkeit. Von heute auf morgen war aus dem Sonderschullehrer und Freizeitpolitiker mit einem Mandat im Kreistag ein Berufspolitiker geworden. Auf diese völlig neue Situation musste sich mit ihm vor 30 Jahren auch seine Familie mit der Ehefrau Anita (34) und seinen Söhnen Frank (15) und Stefan (10) ebenso schlagartig einstellen.
Erwartungen an Johannes Rau
Durch die Siege in 1980 und 1985 wurde Johannes Rau zum neuen SPD-Hoffnungsträger, um die im Oktober 1982 verlorene Kanzlerschaft für die SPD wieder zurückzuholen. Der Wuppertaler war bereits im April 1982 zum stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden aufgestiegen. Spätestens nach dem Triumph von 1985 in Nordrhein-Westfalen drängte ihn seine Partei zur Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 1987. Das ernüchternde SPD-Ergebnis (immerhin noch glatte 37 Prozent) nach dem Winterwahlkampf am Sonntag, 25. Januar 1987, gab Johannes Rau rückblickend Recht, kein Spitzenamt in Bonn anzustreben. Doch seine einflussreiche Rolle in Nordrhein-Westfalen erfuhr durch die Niederlage als Herausforderer des CDU-Amtsinhabers in 1987 kaum Abstriche. Schließlich regierte er in Düsseldorf noch bis Ende Mai 1998 und war von 1999 bis 2004 Bundespräsident in Berlin.
Hans Zaremba