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Skepsis und Zuversicht

Dialog der SPD analysierte Neuausrichtung der Pflege

Dass sich die Pflegeversicherung seit ihrer Einführung im Jahre 1995 auf jeden Fall bewährt habe, stand bei der öffentlichen und gut besuchten Dialogveranstaltung des Lippstädter SPD-Ortsvereins über die Umgestaltung zur nachhaltigen Weiterentwicklung dieser Sozialversicherung völlig außer Frage. Dennoch gab es bei dem vom SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Hans Zaremba eröffneten und von der stellvertretenden Landrätin Dr. Ulrike Gilhaus geleiteten Forum der Sozialdemokaten mit der provokanten Überschrift „Alibi oder Reform?“ zur künftigen Ausrichtung der Pflege viele kritische Anmerkungen. Sie betrafen insbesondere die Rolle des Medizinischen Dienstes und die Ablehnung der Unionsparteien, den im Koalitionsvertrag vereinbarten Risikoausgleich zwischen privater und sozialer Pflegerversicherung mitzutragen.

Akteure des Pflegedialogs der SPD.Von links nach rechts Hans Zaremba, Hilde Mattheis, Jürgen Schwab, Dr. Ulrike Gilhaus, Antonius Matthias und Joachim Köhne.

Richtiger Schritt

Als „einen richtigen Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnete die Ulmer Abgeordnete und pflegepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Hilde Mattheis, bei der im Erich-Wandel-Zentrum der Arbeiterwohlfahrt ausgerichteten Veranstaltung das vom Koalitionsausschuss im Juni erarbeitete Eckpunktepapier, das im Herbst die Grundlage für das Gesetzgebungsverfahren im Berliner Parlament bilden soll. Mit den vereinbarten Strukturreformen sollen, so die im sauerländischen Finnentrop aufgewachsene Parlamentarierin, die Schnittstellen zwischen den einzelnen Sozialversicherungsträgern verbessert, der Grundsatz des Vorrangs der ambulanten Pflege gestärkt und die Infrastruktur vor Ort auf eine älter werdende Gesellschaft passender geregelt werden.

Informationen unmittelbar vor Ort.Diese verschaffte sich die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis im Kreis der Bewohnerinnen im Evangelischen Seniorenzentrum von Bodelschwingh.

Fallmanagement

Darüber hinaus beinhalte das Vorhaben die Einbeziehung von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, eine schrittweise Anhebung der Sachleistungen im ambulanten Bereich, eine moderate Steigerung des Pflegegeldes und eine Dynamisierung der Leistungen. Der zentrale Dreh- und Angelpunkt der von Hilde Mattheis vorgestellten Überlegungen bildeten die quartiersbezogenen Servicezentren und Pflegestützpunkte und ein von der Pflegeversicherung vorzuhaltendes Fallmanagement. Just dieser Punkt löste in dem von vielen Fachleuten besetzten Publikum eine rege Diskussion aus, wobei sich Skepsis und Zuversicht die Waage hielten.

Sorgen um den Bestand der stationären Einrichtungen.Sie wurden von Jürgen Schwab, dem Leiter des Erich-Wandel-Zentrums im Gespräch mit Hilde Mattheis hervorgehoben.

Bürgerversicherung

Die Festlegung der Koalitionäre, wonach die Finanzierung des Solidarsystems Pflege weiterhin paritätisch organisiert bleibe, bewertete das Mitglied des Berliner Parteivorstandes der SPD als „einen klaren Erfolg“ ihrer Partei. „Unabhängig von dem jetzt erzielten Kompromiss halten wir an der Einführung der Bürgersicherung und dem Finanzausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung fest“, hob die 52jährige SPD-Frau hervor. Der Druck aus der Mitte der Veranstaltungsbesucher für eine unmittelbare Einbeziehung der privat Versicherten bei der anstehenden Reform war deutlich spürbar. Die Vorschläge reichten von einer „Vollkaskoversicherung“ ähnlich wie bei der Finanzierung der anderen Sozialsysteme bis zur steuerfinanzierten Variante.

Wehrt sich gegen Horrorszenarien in den Medien.Heimleiter Antonius Matthias im Austausch mit Hilde Mattheis.

Politik nach Kassenlage

Kritisch wurde auch der Plan, die ambulante Versorgung nach dem persönlichen Bedarf zu stärken, gesehen. Bereits am Nachmittag, als sich Hilde Mattheis in Begleitung ihres Lippstädter Gastgebers, des SPD-Sozialpolitikers Hans Zaremba, mit den Leitern des Erich-Wandel-Zentrums, Jürgen Schwab, und in dem Seniorenheim der Evangelischen Kirche von Bodelschwingh in Lipperbruch, Antonius Matthias, traf, wurde von diesen die Befürchtung geäußert, dass darunter künftig die Finanzierung der stationären Einrichtungen leiden könnten. Diese Sorge wurde vom Heimleiter Matthias in der Versammlung wiederholt, als er von einer „Politik nach Kassenlage“ sprach. Ebenso wehrte sich der frühere Lipperbrucher Ratsherr gegen die von manchen Medien verbreiteten Horrorszenarien über die Situation in den Heimen. Mit Blick auf die gewollten Änderungen wünschte er sich ein stärkeres Vorgehen des Gesetzgebers gegen die „Schwarzarbeit“ und die Dumpinglöhne in der Pflege.

Kostenträgern stärker auf die Finger schauen.Dies forderte Joachim Köhne. Mit im Bild die Abgeordnete Hilde Mattheis und die Vizelandrätin Dr. Ulrike Gilhaus als Versammlungsleiterin.

Empörung

Joachim Köhne, der seine Erfahrungen aus der häuslichen Pflege für seine unterdessen verstorbene Mutter schilderte, begrüßte die Einführung von sogenannten Pflegeleistungszentren. Er habe erlebt, dass die Kostenträger oftmals nur auf Einsparungen schielten und nicht selten mit der Weitergabe der notwendigen Informationen sehr spärlich umgingen. „Den Kassen muss stärker auf die Finger gesehen werden“, forderte der Lippstädter. Viel Unmut wurde in der Aussprache auch gegenüber dem Gebaren des Medizinischen Dienstes geübt. Die vom Gesetzgeber dieser Einrichtung der Krankenkassen übertragene Zuständigkeit, die jeweiligen Pflegestufen zu bestimmen, stieß auf eine breite Empörung. Übrigens ähnlich wie vor zehn Jahren, als der Lippstädter SPD-Ortsverein kurz nach der Einführung der neuen Sozialversicherung eine ähnliche Veranstaltung mit einem gleichfalls herausfordernden Motto „Pflegeversicherung – Chance oder Flop?“ ausrichtete.

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