Hans Zaremba über einen Abend mit Sven Pistor
Zweifellos ist Sven Pistor ein exzellenter Kenner des Fußballs, was er nun schon seit über ein Jahrzehnt als Moderator des WDR mit der Sendung „Liga live“ eindrucksvoll demonstriert. Nun war er bereits zum zweiten Mal mit „Pistors Fußballschule“ in Lippstadt zu Gast und konnte wie im vergangenen Jahr vor einem ausverkauften Haus in der Aula des Evangelischen Gymnasiums sein interessantes Bühnenprogramm – diesmal mit dem Titel „Vollpfosten reloaded“ – präsentieren.
Neugierde
Durch die Interviews mit dem aus Lippstadt stammenden und heute in Dortmund lebenden ehemaligen Fußballprofi Michael Rummenigge weckte der Mann vom Hörfunk bei seiner diesjährigen Darbietung gewiss eine zusätzliche Neugierde bei den rund 400 Zuschauern im Auditorium an der Beckumer Straße. Der zweimalige Nationalspieler, der 1981 seinem Bruder Karl-Heinz Rummenigge von Borussia Lippstadt zum FC Bayern München gefolgt war und an der Isar sieben Spielzeiten unter Vertrag stand, steuerte mit seinen Fingerzeigen über das Innenleben des Rekordmeisters viele spannende Details aus dem Fußballgeschäft bei. So auch über sein Gespräch mit dem Bayern-Patriarchen Uli Hoeneß, der ihn 1988 an einen anderen Club transferieren wollte. Die Ansage an den 1964 in Lippstadt geborenen Mittelfeldmann sei unverblümt gewesen: Entweder die Bayern zu verlassen oder in der Saison 1988/89 mit einem Tribünenplatz im Olympiastadion, damaliger Austragungsort der Münchener Heimspiele, Vorlieb zu nehmen. Was folgte war der Wechsel von Michael Rummenigge zum BVB. Für den Verein aus dem Revier kickte er insgesamt fünf Jahre und gehörte 1989 zu jener Mannschaft, die zum zweiten Mal in der Geschichte von Borussia Dortmund den DFB-Pokal gewann. Zuvor war dem auch heute noch durch etliche private Kontakte mit Lippstadt verbundenen Fußballer dieser Erfolg zweimal mit dem FC Bayern (1984 und1986) gelungen. Ebenso gehörte der einstige Jugendfußballer von Borussia Lippstadt zu den Aufgeboten der Münchener, die 1985, 1986 und 1987 dreimal in Folge die Meisterschale einheimsten.
Einblick
Dass Sven Pistor wegen der Mitwirkung von Michael Rummenigge – der den Mann aus Köln bei seiner aktuellen Tournee nur in Lippstadt begleitet – bei seinem zweiten Besuch an der Lippe der Geschichte des FC Bayern München einen besonderen Schwerpunkt einräumte, überraschte somit nicht. Aber es waren nicht die üblichen Huldigungen der reichlichen sportlichen Triumphe der Bayern, vielmehr vermittelte der 1972 in Köln geborene Journalist auch einen politischen Einblick in den am 27. Februar 1900 gegründeten und mit rund 293.000 Vereinsangehörigen derzeit mitgliederstärksten Sportverein auf dem Erdball, als er das Engagement von Kurt Landauer als Bayern-Präsident herausstellte. Der Sohn jüdischer Eltern, die als Kaufleute ein Bekleidungsgeschäft in der Münchner Innenstadt betrieben, war von 1913 bis 1914, von 1919 bis 1933 und erneut von 1947 bis 1951 dreimal der Vormann des heutigen Rekordmeisters, der 1932 seine erste deutsche Meisterschaft gewann. Die Bayern wurden damals nur deshalb Meister, weil ihr Präsident den Verein gegen den Widerstand des DFB bereits international ausgerichtet hatte. Landauer galt als Visionär: Er reformierte die Nachwuchsarbeit und organisierte Testspiele gegen internationale Mannschaften. Durch die NS-Machtübernahme legte Landauer im März 1933 sein Amt bei den Bayern nieder, geriet in die Fänge der Gestapo und wurde 1938 am Tag nach der Pogromnacht für vier Wochen im Konzentrationslager Dachau interniert. Nach seiner Entlassung konnte er im Mai 1939 in die Schweiz flüchten. Vier seiner Geschwister dagegen wurden von den Nazis ermordet. Die Bayernkicker hatten ihn jedoch nicht vergessen: Bei einem Freundschaftsspiel in Zürich im Jahre 1940 kamen sie zur Tribüne und begrüßten ihren dort sitzenden ehemaligen Präsidenten. Aber auch auf die spätere Geschichte der Bayern, denen erst zwei Jahre nach dem Bundesligastart 1965 der Aufstieg ins Fußballoberhaus gelang, würdigte Pistor bei seiner Reise durch die Fußballlandschaft in Deutschland. Dabei hob er insbesondere die Leistungen von Gerd Müller hervor, der mit seinen Toren die Grundlage der Erfolgsserie der Bayern in der Dekade von Mitte der 1960er Jahre bis in die 1970er Jahre legte. „Pistors Fußballschule“ war auch im Januar 2020 ein unterhaltsamer Abend und soll womöglich im kommenden Jahr, wenn die Sanierung des Stadttheaters abgeschlossen ist, im Haus am Cappeltor seine dritte Auflage in Lippstadt haben. Vielleicht wird auch dann wieder einiges vom heimischen Fußball auf dem Ablaufzettel stehen. Ein Gespräch zwischen dem WDR-Mann und Thilo Altmann, dem Präsidenten des SV Lippstadt 08, nach der Veranstaltung in der Schul-Aula deutet darauf hin. Dies könnte auch wiederum das Studio Siegen des WDR auf den Plan rufen, das in diesem Jahr mit einem Beitrag im Fensterprogramm der aktuellen Stunde die Stimme des Fußballs im Westen begleitete.