Als am vergangenen Wochenende die aktuelle Herbstwoche mit dem traditionellen Fassanstich vor dem Riesenrad und der festlichen Gala im Stadttheater startete, wurden zugleich Erinnerungen an frühere Kirmesauftakte mit markanten Persönlichkeiten als Schirmfrauen und -herren wach. Zu ihnen zählten in 1969 der damalige Verteidigungsminister Gerhard Schröder (1910-1989) aus der CDU, 1973 sein späterer und von der SPD gestellte Nachfolger Georg Leber (1920-2012), 1974 die Vizepräsidentin des Bundestages und Grande Dame der FDP, Lieselotte Funke (1918-2012), und in 1976 die erste Frau im Amt der Bundestagspräsidentin, Annemarie Renger (1919-2008), die als SPD-Abgeordnete von 1953 bis 1990 dem Parlament in Bonn angehörte.
Erinnerungen von Hans Zaremba

Aufnahme eines bemerkenswerten Abends im damaligen „Augustinerhof“ mit Hans-Jürgen Wischnewski (vorne in der Mitte) und umgeben im Uhrzeigersinn von den heimischen Sozialdemokraten Heinfried Heitmann, Engelbert Sander, Dr. Franz Walter Henrich, Hans Zaremba und Karl-Heinz Brülle.
Quelle: Fotosammlung Hans Zaremba
Tradition
Es war bis vor vier Jahrzehnten in Lippstadt eine bewährte Tradition, für die im Oktober wiederkehrende Veranstaltung eine bedeutende Politikerin oder Politiker als „Patron“ zu gewinnen. Eine Gepflogenheit, die sich die damals im Stadtrat vertretenen Parteien, CDU, FDP und SPD, im stetigen Wechsel teilten. Wegen der fortwährend steigenden Zahl von Vereinigungen im Stadtrat, die nach der jüngsten Wahl am Sonntag, 14. September, bereits neun Gruppierungen umfasst, wurde dieser Brauch ab den 1990er Jahren nicht mehr gepflegt. Vor vierzig Jahren war der einstige Staatsminister im Kanzleramt, Hans-Jürgen Wischnewski (1922-2005) aus der SPD, der vorerst letzte Spitzenpolitiker, dem die ehrenvolle Aufgabe für die Eröffnung der Herbstwoche übertragen wurde. Über die Rede des langjährigen Bundestagsabgeordneten im Lippstädter Musentempel am Cappeltor war in den Medien vermerkt: „Mit der Routine des sprachgewandten Welt-Politikers verstand es Hans-Jürgen Wischnewski schnell, bei den Zuhörern im restlos besetzten Theater Kontakt herzustellen.“ Gängig war es in jener Zeit mit den Schutzdamen und -herren, dass sich die Parteien nach den offiziellen Teilen im Stadttheater und dem Empfang im Rathaus mit der Eintragung des Ehrengastes ins „Goldene Buch“ der Stadt Lippstadt mit den meist aus Bonn angereisten Prominenten in die Lokalitäten in der Innenstadt begaben. So auch vor vierzig Jahren, als viele der seinerzeitigen Protagonisten der SPD aus Lippstadt und in der Region gemeinsam mit „Ben Wisch“ – einen Namen, der ihm durch seine exzellenten Verbindungen in den arabischen Raum von Willy Brandt (1913-1992) verliehen wurde – im „Augustiner Hof“ einkehrten. Bis in die Morgenstunden verharrten die Sozis – unter denen sich auch die Lippstädter Abgeordneten im Bundestag, Engelbert Sander (1929-2004), und Landtag, Karl-Heinz Brülle, die Vizelandrätin Elisabeth Kuppert (1923-2011) sowie der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Soest, Hans Grabis (1941-1989), befanden – mit ihrem unterhaltsamen Besucher im 1981 errichteten und in 2020 infolge der Quartiersneugestaltung entfernten Gästehaus in der Bahnhofstraße.
Verdienste
Einer größeren Öffentlichkeit war Hans-Jürgen Wischnewski im Oktober 1977 durch seine erfolgreichen Gespräche in Mogadischu (Somalia) bekannt geworden, als er es schaffte, dass die auf dem Flug von Mallorca nach Deutschland von Terroristen aus Palästina gekaperte Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch den Bundesgrenzschutz gestürmt und die Passagiere befreit werden konnten. Über die schwierigen Verhandlungen am Horn von Afrika wollten seine heimischen Begleiter aus der SPD verständlich mehr wissen. In seiner ihm eigenen Art berichtete Wischnewski über die dramatischen Vorgänge im Herbst 1977. Seiner Mission in der ostafrikanischen Stadt waren im September 1977 durch die Terrorbande „Rote Armee Fraktion“ die brutal erwirkte Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer (1915-1977) und weitere Anschläge vorausgegangen. Als Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1918-2015) führte er an den Flughäfen, auf denen das entführte Luftfahrzeug auf Druck seiner Kidnapper landen musste, Unterredungen mit den lokalen Behörden. Schließlich erreichte er es, dass in Mogadischu eine Sondereinheit des GSG (Grenzschutzgruppe) 9 den Flieger attackieren und die Geiseln retten konnte. Darüber hinaus hat sich „Ben Wisch“ als „Parteisoldat“ für die SPD, der seit 1946 angehörte, vielfältige Verdienste erworben. Von Köln als lokaler Vormann über die Funktionen als Geschäftsführer und stellvertretender Vorsitzender bis zum Schatzmeister der Bundes-SPD. Durch das von der CDU/CSU und der FDP eingebrachte konstruktive Misstrauensvotum vom 1. Oktober 1982 mit der Abwahl des Kanzlers Helmut Schmidt und die im März 1983 verlorene Bundestagswahl befand sich die Sozialdemokratie beim Lippstadt-Besuch des Bonner Gastes im Umbruch. Auf den langjährigen Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner (1906-1990), war in 1983 Hans-Jochen Vogel (1926-2020) gefolgt und auch das Ende des SPD-Parteivorsitzes für Willy Brandt zeichnete bereits sich ab. Auch aus dieser Phase wartete Hans-Joachim Wischnewski bei reichlich Kaffee und Cognac mit etlichen Anekdoten auf.
Hinweis
Dieser Beitrag – verfasst für die Ausgabe von Lippstadt am Sonntag vom 26. Oktober 2025 – wurde vorab am Freitag, 24. Oktober 2025, um 18.50 Uhr, veröffentlicht.